FAQ: Ziviler Ungehorsam
Als ziviler Ungehorsam wird laut Definition ein moralisch begründeter, öffentlicher Verstoß gegen Gesetze oder Vorschriften verstanden. Dabei handelt es sich um eine Form des Protests, der auf ein bestehendes Problem aufmerksam machen soll.
Durch das Grundgesetz kann ein ziviler Ungehorsam mitunter zulässig sein. So können laut Bundesverfassungsgericht etwa Sitzblockaden durch das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gedeckt sein. Welche Sanktionen drohen, wenn ein ziviler Ungehorsam gegen das Recht verstößt, lesen Sie in diesem Abschnitt.
Inhalt
Ziviler Ungehorsam – Bedeutung einfach erklärt!
Laut allgemeiner Definition ist ein ziviler Ungehorsam eine Art des Protests. Allerdings bezeichnet dieser Begriff nicht eine konkrete Handlung, sondern dient als Oberbegriff für unterschiedlichste Protestformen. Darüber hinaus können Aktivisten und Organisationen den Begriff durchaus unterschiedlich auslegen. Folgende Merkmal zeichnen einen zivilen Ungehorsam in der Regel aus:
- Rechtswidriges Verhalten
- Öffentliche Auseinandersetzung
- Politisch-moralische Motivation
- Gewaltfreiheit
Ein ziviler Ungehorsam geht mit einem bewussten Rechtsbruch einher, um auf ein bestehendes Problem aufmerksam zu machen. Die Aktivisten riskieren demnach eine Strafe, wodurch sich diese Form des Protests von erlaubten Maßnahmen wie Demonstrationen, Petitionen und Kundgebungen unterscheidet. Mitunter ist aber auch eine Kombination möglich. So liegt bei den Demonstrationen der Fridays for Future ein ziviler Ungehorsam im Verstoß gegen die gesetzliche Schulpflicht.
Um Politik und Gesellschaft zu erreichen, erfolgt der Protest öffentlich. Angestrebt wird dabei eine Auseinandersetzung mit den Zielen, die politische, soziale oder rechtliche Veränderungen vorsehen. Um eine grundlegende Veränderung des Staates geht es hingegen nicht.
Zentrales Element des zivilen Ungehorsams ist auch die Motivation für den Protest. Denn dabei geht es Aktivisten nicht um einen rein privaten Nutzen. Vielmehr geht es darum, auf generelle Ungerechtigkeiten, Missstände oder Probleme aufmerksam zu machen. Dabei können auch Prinzipien und moralische Grundsätze eine wichtige Rolle spielen.
Gewaltfreiheit und ziviler Ungehorsam gehen Hand in Hand. Allerdings kann die Auslegung des Gewaltbegriffs je nach Organisation oder Gruppe variieren. Einigkeit herrscht in der Regel dabei, dass keine Gewalt gegen Personen ausgeübt werden darf. Bei Gewalt gegen Dinge – also juristisch gesehen eine Sachbeschädigung – sieht dies mitunter anders aus.
In der nachfolgenden Tabelle finden Sie einige Beispiele, welche Veränderungen ziviler Ungehorsam gebracht hat und für welche Ziele aktuell protestiert wird:
Wer? | Wofür? | Wie? |
---|---|---|
Henry David Thoreau (1846 - USA) | Protest gegen Sklaverei und Krieg gegen Mexiko | Verweigerung der Steuernachzahlung |
Mahatma Gandhi (1930 - Indien) | Unabhängigkeit Indiens | Boykott, Streik und „Salzmarsch“ |
Rosa Parks (1955 - USA) | Protest gegen die Rassentrennung | Bus-Boykott |
Anti-Atomkraft-Bewegung (ab 1995 - Deutschland) | Ende der Atomkraft | Blockaden gegen Atommüll-Transporte nach Gorleben |
Umweltschützer (2018 - Deutschland) | Erhalt des Hambacher Forsts | Errichtung von Hindernissen, Verschanzung in Baumhäusern |
Friday for Future (seit 2018 – weltweit) | Einhaltung des Weltklimaabkommens | Demonstrationen am Freitag (Schulstreik) |
Letzte Generation (seit 2022 – Deutschland) | Maßnahmen gegen den Klimawandel | Straßenblockaden (Klimakleber), Sachbeschädigung |
Ziviler Ungehorsam: Pro- und Contra-Argumente
Wie vor allem die historischen Beispiele zeigen, kann ein ziviler Ungehorsam zu weitreichenden Veränderungen führen. Allerdings treffen die Maßnahmen – vor allem wenn diese mit der Zeit eskalieren – nicht immer auf gesellschaftliche Akzeptanz. Argumente, die für und gegen diese Protestform sprechen, werden nachfolgend beleuchtet.
Grundsätzlich hat der zivile Ungehorsam eine Appellfunktion und kann dadurch auf bestehende Missstände aufmerksam machen. Außerdem handelt es sich um eine gewaltlose Form des Protests, auch wenn bestehende Vorschriften und Gesetze dafür missachtet werden. Die Aktivisten sind sich dieser Tatsache bewusst und riskieren Strafen. Sie übernehmen dadurch Verantwortung für ihr Handeln und stellen sich – so die Grundidee – in den Dienst der guten Sache.
Allerdings werden die Maßnahmen nicht immer mit Erfolg belohnt. So kann das Anliegen unter Umständen Schaden nehmen, wenn die Gesellschaft sich vor allem über die Auswirkungen aufregt, die ein ziviler Ungehorsam hat. Die „Letzte Generation“ bringt zum Beispiel durch das Festkleben auf der Fahrbahn Autofahrer gegen sich auf. In den Medien werden die Aktivisten mitunter nur noch als „Klimakleber“ bezeichnet und die eigentlichen Ziele gehen in der Diskussion teilweise unter. Auch Sachbeschädigung oder die Behinderung von Rettungseinsätzen können sich negativ auf die Akzeptanz in Gesellschaft und Politik auswirken.
Zudem stellt sich generell die Frage, ob Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften grundsätzlich zu befürworten sind. Handelt es sich beim zivilen Ungehorsam also wirklich um das geeignetste Mittel, um das Anliegen bekannt zu machen und durchzusetzen?
Mögliche Strafen: Wenn ziviler Ungehorsam gegen das Gesetz verstößt
Ob für einen zivilen Ungehorsam strafrechtliche Konsequenzen drohen, hängt grundsätzlich von den Umständen des Rechtsbruchs ab. Einen eigenen Straftatbestand sieht der Gesetzgeber für den Protest hingegen nicht vor. Stattdessen lassen sich unter anderem folgende konkrete Rechtsverletzungen ahnden:
- Öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB): Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis 5 Jahre
- Hausfriedensbruch (§ 123 StGB): Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis 5 Jahre Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis 1 Jahr
- Nötigung (§ 240 StGB): Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis 3 Jahre
- Sachbeschädigung (§ 303 StGB): Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis 2 Jahre
- Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (§ 315b StGB): Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis 5 Jahre
Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass ein ziviler Ungehorsam in einer Demokratie als zulässige Form des Protests gilt. So können Sitzblockaden unter Umständen als ein ziviler Ungehorsam laut Bundesverfassungsgericht durch die Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Grundgesetz (GG) gedeckt sein. Im Beschluss des BVerfG vom 7. März 2011 (Az.: 1 BvR 388/05) heißt es dazu:
Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden Bei einer Versammlung geht es darum, dass die Teilnehmer nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen.
Darüber hinaus besteht ggf. die Möglichkeit, dass ein ziviler Ungehorsam für den Klimaschutz durch § 34 StGB als rechtfertigender Notstand gerechtfertigt werden kann:
Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.
Ob allerdings Aktionen, die mithilfe von Sachbeschädigung oder Hausfriedensbruch auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam machen wollen, unter den rechtfertigenden Notstand fallen können, ist noch nicht geklärt. Eine höchstrichterliche Entscheidung gibt es dazu bislang nämlich nicht. Zudem wird der zivile Ungehorsam im Zuge von Strafverfahren in Deutschland in der Regel nicht als eigener Rechtfertigungsgrund anerkannt.