Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) behandelte die Frage, ab wann ein Elternteil als alleinerziehend gilt. Hierfür hat das Gericht eine Grenze festgelegt. Wer über 60 Prozent der Betreuung eines Kindes übernimmt, gilt als alleinerziehend. In dem konkreten Fall ging es um den Unterhaltsvorschuss.
Alleinerziehend ist, wer 60 Prozent der Betreuung übernimmt
Teilen sich Eltern die Betreuung des gemeinsamen Kindes, gilt ein Elternteil als alleinerziehend, sobald er mehr als 60 Prozent der Betreuung übernimmt. Diese Grenze wurde am Dienstag vom BVerwG festgelegt (BVerwG, Urt. v. 12.12.2023, Az. 5 C 9.22 u. 5 C 10.22). Die Entscheidung der Vorinstanz wurde damit aufgehoben.
In dem konkreten Fall ging es um eine Mutter von Zwillingstöchtern, der Unterhaltsvorschussleistungen vom zuständigen Jugendamt nicht gewährt wurden. Einen Anspruch auf diesen Vorschuss haben nur Kinder, die bei einem alleinerziehenden Elternteil leben und vom anderen Elternteil keine regelmäßigen Unterhaltszahlungen erhalten, obwohl diese dazu verpflichtet wären. Die Mutter klage, weil sie die Ansicht vertrat, als Elternteil alleinerziehend zu sein und somit einen Anspruch auf den Vorschuss zu haben.
Der getrennt lebende Vater der beiden Töchter kam seiner Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt nicht nach. Sowohl das Verwaltungs- als auch das Oberverwaltungsgericht waren dennoch der Ansicht, dass sich daraus noch kein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss ergibt. Die Mutter sei als Elternteil nicht vollständig alleinerziehend.
Während der Schulzeit beteiligte sich der Vater nämlich zu ungefähr 36 Prozent an der Kinderbetreuung. Kurz, die Mutter wurde laut Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht durch den Vater ausreichend entlastet.
BVerwG bewertet Betreuung nach Zeit und nicht Qualität
Der 5. Senat des BVerwG war nun anderer Meinung. Genauer beschäftigte sich das Gericht mit dem ursprünglichen Zweck des Unterhaltsvorschusses, der Eltern bei einem Ausfall von Unterhaltszahlungen entlasten soll. Diese Entlastung sei nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht nur dann notwendig, wenn ein Elternteil vollständig alleinerziehend ist, die Betreuung also zu 100 Prozent übernimmt. Dazu das BVerwG wörtlich in der Pressemitteilung vom 12.12.2023:
Außer in den Fällen vollständigen Alleinerziehens liegt eine solche Belastung auch dann vor, wenn der Schwerpunkt der Betreuung ganz überwiegend bei diesem Elternteil liegt, obgleich auch der andere Elternteil Betreuungsleistungen für das Kind erbringt.
Hierfür wurde eine konkrete Grenze festgelegt. Sobald ein Elternteil mehr als 60 Prozent der Betreuung übernimmt, ist nach dem BVerwG dieser Elternteil alleinerziehend. Ein Antrag auf Unterhaltsvorschusszahlungen müsse in diesem Fall bewilligt werden, wenn der andere Elternteil keinen Unterhalt zahlt.
Dieser neue Maßstab soll allerdings nur eine quantitative Bewertung sein: Wer also rein zeitlich 60 Prozent der Kinderbetreuung übernimmt, gilt als alleinerziehend. Eine qualitative Bewertung der Betreuung solle nicht erfolgen. Es wird also nicht festgestellt, wer “besser” betreut, sondern nur, wer mehr Zeit mit dem Kind verbringt.