FAQ: Wahlrecht für Menschen mit Behinderung
Ja, seit dem 1. Juli 2019 gilt in Deutschland ein inklusives Wahlrecht. Somit dürfen auch Menschen mit Behinderung, die eine rechtliche Vollbetreuung erhalten, ihre Stimme abgeben.
Das Bundeswahlgesetz (BWahlG) sieht die Möglichkeit einer Assistenz bei der Ausübung des Wahlrechts vor. Dabei kann es sich zum Beispiel um eine inhaltliche Vorbereitung und einer gemeinsamen Auseinandersetzung mit den Wahlprogrammen oder um die Unterstützung beim Wählen in er Wahlkabine handeln.
Ein Ausschluss vom Wahlrecht ist nur infolge eines Richterspruchs möglich. Der zeitweise Entzug des aktiven Wahlrechts kann unter Umständen bei Straftaten wie Hochverrat, Landesverrat, Wahlbetrug, Wählernötigung oder Wählerbestechung angeordnet werden.
Inhalt
Besitzen behinderte Menschen das Wahlrecht?
In einer Demokratie ist das Wahlrecht ein hohes Gut, ermöglicht es der Bevölkerung doch die Mitgestaltung der Politik. So heißt es etwa in Art. 38 Grundgesetz (GG), dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in einer allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl gewählt werden. Allgemein besagt in diesem Zusammenhang, dass jeder Bürger und jede Bürgerin der Bundesrepublik Deutschland seine Stimme abgeben darf. Aspekte wie das Geschlecht, der Beruf, das Einkommen oder die politische Überzeugung spielen dabei keine Rolle, wahlberechtigt ist jeder ab 18 Jahren.
Trotz dieser grundsätzlichen Festschreibung in der Verfassung Deutschlands wurde das Wahlrecht für behinderte Menschen, die in allen Angelegenheiten rechtlich betreut wurden, lange Zeit ausgesetzt. In § 13 Bundeswahlgesetz (BWahlG) hieß es bis zum 1. Juli 2019:
Ausgeschlossen vom Wahlrecht ist,
[…]
2. derjenige, für den zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist; dies gilt auch, wenn der Aufgabenkreis des Betreuers die in § 1896 Abs. 4 und § 1905 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Angelegenheiten nicht erfaßt,
[…].
Dieser pauschale Ausschluss vom Wahlrecht für behinderte Menschen in Vollbetreuung stellte aus Sicht der Betroffenen eine Diskriminierung dar. Denn Menschen mit Behinderung, die von ihrer Familie versorgt wurden und daher keinen rechtlichen Betreuer bestellen mussten, durften wählen.
Erst durch eine Wahlprüfungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht konnte das Wahlrecht für behinderte Menschen mit rechtlicher Betreuung erstritten werden. Denn laut dem Beschluss des BVerfG vom 29. Januar 2019 (Az.: 2 BvC 62/14) sind die Wahlrechtsausschlüsse für Betreute in allen Angelegenheiten verfassungswidrig.
Die Regierung musste daher § 13 BWahlG nachbessern. Zum 1. Juli 2019 trat die neue Fassung in Kraft, aus der der Ausschluss vom Wahlrecht für behinderte Menschen mit rechtlicher Betreuung vollständig gestrichen wurde.
Was ist die rechtliche Betreuung?
Sind Personen nicht mehr in der Lage dazu, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, wird eine rechtliche Betreuung von einem Gericht angeordnet. Betroffen sind meist Menschen mit einer psychischen Erkrankung wie Demenz oder mit geistiger oder körperlicher Behinderung. Der Betreuer soll in ihrem Sinne Entscheidungen treffen. Bei einer Vollbetreuung schließt dies unter anderem die Gesundheitsvorsorge, die Aufenthaltsbestimmung, die Vermögenssorge und Behördenangelegenheiten ein.
Ausübung des Wahlrechts: Menschen mit Behinderung erhalten Unterstützung
Damit Menschen mit Behinderung ihr Wahlrecht ausüben können, benötigen sie unter Umständen Hilfe. So ist es ihnen ggf. nicht möglich, zu lesen, selbstständig das Kreuz zu setzen oder den Wahlzettel zu falten. Daher erlaubt § 14 BWahlG beim Wahlrecht für behinderte Menschen auch eine Unterstützung bei der Stimmabgabe:
Ein Wahlberechtigter, der des Lesens unkundig oder wegen einer Behinderung an der Abgabe seiner Stimme gehindert ist, kann sich hierzu der Hilfe einer anderen Person bedienen. Die Hilfeleistung ist auf technische Hilfe bei der Kundgabe einer vom Wahlberechtigten selbst getroffenen und geäußerten Wahlentscheidung beschränkt. Unzulässig ist eine Hilfeleistung, die unter missbräuchlicher Einflussnahme erfolgt, die selbstbestimmte Willensbildung oder Entscheidung des Wahlberechtigten ersetzt oder verändert oder wenn ein Interessenkonflikt der Hilfsperson besteht.
Die Assistenzperson darf dabei vom Wahlberechtigten frei gewählt werden. Es kann sich dabei also um einen Freund, ein Familienmitglied, den rechtlichen Betreuer oder auch ein Mitglied aus dem Wahlvorstand handeln. Die Hilfestellung darf dabei, falls notwendig, auch in der Wahlkabine oder beim Ausfüllen der Briefwahlunterlagen erfolgen. Um das Wahlrecht für behinderte Menschen zu wahren, muss die Hilfsperson die Wünsche des Wahlberechtigten erfüllen und die dadurch erlangten Kenntnisse zur Stimmabgabe geheim halten.
Auch im Vorfeld der Wahl kann eine Assistenz hilfreich sein. Dabei kann es unter anderem darum gehen, die Bedeutung der Wahl, den Ablauf der Stimmabgabe und die Programme der einzelnen Parteien ausführlich zu besprechen.
Wichtig! Die Hilfestellung beim Wahlrecht für behinderte Menschen darf nicht zur missbräuchlichen Einflussnahme genutzt werden. Denn wird die Entscheidung des Wahlberechtigten verändert oder die selbstbestimmte Willensbildung beeinflusst, kann eine Wahlfälschung vorliegen. Hierbei handelt es sich um eine Straftat, die gemäß § 107a StGB eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren nach sich ziehen kann.