Im Grunde genommen, ist es gängige Praxis: Hat ein Flug mehr als drei Stunden Verspätung, winkt den Fluggästen pauschal eine Entschädigung. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sieht das in Ausnahmefällen jedoch anders. Laut einem Urteil (Urt. v. 25.01.2024 C-474/22) ist eine Entschädigung bei Flugverspätung abzuerkennen, wenn Reisende erst gar nicht am Flughafen auftauchen oder sich eigenständig einen Alternativflug buchen und damit eine Verspätung umgehen.
Bisherige Rechtslage bei Flugverspätung oder Annullierung
Vorab ein Blick auf die Rechtsprechung: Nach geltender EU-Fluggastrechteverordnung erhalten Flugreisende eine pauschalierte Entschädigung, wenn Flüge gänzlich gestrichen werden oder es zu großen Verspätungen kommt. Zwischen 250 und 600 Euro sind möglich, abhängig von der Flugstrecke. Dass der Flug dabei um mindestens drei Stunden verspätet sein muss, war stets Voraussetzung – bis jetzt!
Denn: Zwei Männer, die aufgrund einer Flugverspätung auf Entschädigung geklagt hatten, gehen jetzt womöglich leer aus. Der EuGH hat sich in einem Urteil zum Thema Entschädigung bei Flugverspätung geäußert und sieht Umstände, unter denen der Entschädigungsanspruch entfällt. Die endgültige Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) steht noch aus.
Verspätung muss tatsächlich gegeben sein
Im vorliegenden Fall wollten zwei Reisende ihren Anspruch auf Entschädigung geltend machen, weil die Fluggesellschaft eine Verspätung von mehr als drei Stunden angekündigt hatte. Nach geltendem Recht also eine klare Sache, aber: Während der eine Reisende infolgedessen jedoch erst gar nicht am Flughafen auftauchte, organisierte sich der andere eigenständig einen Ersatzflug.
Laut EuGH hätten die Männer durch ihr Verhalten faktisch keinen Zeitverlust erlitten. Ein Entschädigungsanspruch sei deshalb abzulehnen, hält das Gericht in seinem aktuellen Urteil zur Entschädigung bei Flugverspätung fest.
Fehlender Zeitverlust hebt Anspruch auf
In beiden Fällen erkennt der EuGH aus unterschiedlichen Gründen keinen Zeitverlust:
- Mit dem Fernbleiben vom Flughafen habe der eine Passagier seine Zeit anderweitig nutzen können. Das Durchlaufen der Fluggastabfertigung hätte hier erst zum tatsächlichen Zeitverlust geführt. Zudem sei der Flug nicht annulliert, sondern lediglich verschoben worden.
- Die eigenständige Inanspruchnahme eines Ersatzflugs habe bei dem zweiten Passagier dazu geführt, dass er mit einer Verspätung von weniger als drei Stunden am Zielort angekommen sei. Der Mindestzeitverlust von drei Stunden sei damit hinfällig.
Bedeutung des Urteils für die deutsche Rechtsprechung
Auch wenn das EuGH-Urteil zur Entschädigung bei Flugverspätung nicht die endgültige Rechtsprechung für die beiden Reisenden ist – das letzte Wort hat der BGH. Die Entscheidung ist für die hiesigen Richter richtungsweisend und liefert Maßstäbe, die bei der Urteilsfindung ins Gewicht fallen.
Unabhängig vom BGH-Urteil haben die Männer jedoch noch eine weitere Option: die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach dem Zivilrecht.
Schadensersatzansprüche können entstehen, wenn infolge einer Verspätung zusätzliche Kosten entstehen. Darunter fallen bspw. Kosten für einen Ersatzflug, für ein nicht genutztes Hotelzimmer oder einen gebuchten Transfer, der aufgrund der Verspätung erneut gebucht werden muss.