Schwerbehindertenrecht: Welche Richtlinien gelten in Deutschland?

Welche Rechte und Begünstigungen haben Menschen aufgrund Ihrer Schwerbehinderung? Beratungsstellen oder ein Anwalt für Schwerbehindertenrecht können Sie in dieser Hinsicht bspw. beratschlagen.
Welche Rechte und Begünstigungen haben Menschen aufgrund Ihrer Schwerbehinderung? Beratungsstellen oder ein Anwalt für Schwerbehindertenrecht können Sie in dieser Hinsicht bspw. beratschlagen.

FAQ: Schwerbehindertenrecht

Worum handelt es sich beim Schwerbehindertenrecht?

Das Schwerbehindertenrecht soll schwerbehinderten Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erleichtern und etwaigen Benachteiligungen aufgrund ihrer Behinderung entgegenwirken. Deshalb genießen sie im Vergleich zu Menschen ohne Schwerbehinderung bspw. einige Begünstigungen. Mehr dazu hier.

Welches Gesetz regelt das Schwerbehindertenrecht in Deutschland?

Hierzulande definiert der dritte Teil des neunten Sozialgesetzbuchs (SGB IX) das Schwerbehindertenrecht – auch „Besondere Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen“ genannt – in §§ 151 bis 241. Zur Rechtsgrundlage können Sie an dieser Stelle mehr nachlesen.

Was ist ein Antrag nach dem Schwerbehindertenrecht?

Es gibt in Deutschland mehrere Situationen, in denen ein Antrag für Schwerbehinderte sinnvoll sein kann. Ein Erstfeststellungsantrag dient nach dem Schwerbehindertenrecht so bspw. dazu, eine Bestimmung des eigenen Grades der Behinderung (GdB) zu veranlassen. Mehr zu den Anträgen erfahren Sie hier.

Was bedeutet die Beschäftigungspflicht nach dem Schwerbehindertenrecht?

Da Schwerbehindertenrecht und Inklusion in den deutschen Rechtsgebieten Hand in Hand gehen, unterliegen Arbeitgeber grundsätzlich einer Beschäftigungspflicht. Das bedeutet, dass bei mehr als 20 Arbeitsplätzen im Monat mindestens 5 % davon mit schwerbehinderten Arbeitnehmern besetzt sein sollten (§ 154 Abs. 1 des SGB IX). Andernfalls wird monatlich ein bestimmter Geldbetrag als Ausgleichsabgabe fällig.

Rechtsgrundlage: Was ist das Schwerbehindertenrecht nach SGB IX?

Schwerbehindertenrecht und Grad der Behinderung: Die Tabelle stellt Beispiele körperlicher und geistiger Einschränkungen dar.
Schwerbehindertenrecht und Grad der Behinderung: Die Tabelle stellt Beispiele körperlicher und geistiger Einschränkungen dar.

Was regelt das Schwerbehindertenrecht in Deutschland? Vor dem 1. Juli 2001 bestimmte das Schwerbehindertengesetz (SchwbG) hierzulande die Rechte von Menschen mit einer Schwerbehinderung. Danach wurde das SchwbG in das neunte Sozialgesetzbuch (SGB IX) eingegliedert. Seither sind alle Schwerbehindertenrechte in §§ 151 bis 241 des SGB IX verankert.

Diese Vorschriften definieren aber nicht nur die Pflichten von Arbeitgebern gegenüber schwerbehinderten Arbeitnehmern, sondern auch die Rechte von Schwerbehinderten am Arbeitsplatz und die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Schwerbehinderung. Die Kriterien dafür erfüllen Sie in der Regel, wenn Sie einen nachgewiesenen Grad der Behinderung (Gdb) von 50 oder mehr haben.

Anhand dieser Skala kategorisiert das deutsche Schwerbehindertenrecht Krankheiten. Folgende GdB-Tabelle fasst einmal einige chronische Erkrankungen und anderweitige Einschränkungen inklusive ihrer Skalenwerte zusammen:

Grund für die Schwer­behinderungGrad der Behin­derung (GdB)
arterielle Ver­schluss­krank­heiten (AVK) und andere Herz­erkrankungen50 bis 100
Brüche des Zwerch­fells50 bis 100
lang­fristige Ein­schränkung der Lungen­funktion (mitt­lerer bzw. schwerer Grad)50 bis 100
Lungen­tuber­kulose100
Demenz (im frühen bis späten Sta­dium)50 bis 100
Schlaf-Apnoe-Syndrom50
Krampf­adern (sofern das betroffene Körper­teil in seiner Funktion beein­trächtigt wird)50 bis 70
Mukoviszidose80 bis 100
Leukämie100
schwer­wiegende Ent­stellungen des Gesichts (Ver­brenn­ungen, Verlust der Nase etc.)50
schwere Dystonie50 bis 70
schwere Aus­prä­gungen von Migräne50 bis 60
Hirn­schäden (bei Beein­trächtigung der Leistung oder schwer­wiegenden psy­chischen Stö­rungen)50 bis 100
Seh­behinde­rungen auf beiden Augen (schwer bis zur kom­pletten Blind­heit)50 bis 100
hoch­gradige Schwer­hörigkeit auf beiden Ohren (bis zur Taub­heit)50 bis 100
Am­puta­tionen (bspw. Arm, Bein, Hand etc.)50 bis 100
starke Blut­gerinnungs­störungen (bspw. Hämophilie)50 bis 80
multiple Sklerose (frühes bis fort­geschrittenes Sta­dium)50 bis 100
Parkinson (frühes bis fort­geschrittenes Sta­dium)50 bis 100
schwere Inkontinenz50 bis 70
geistige Be­hinderung mit kog­nitiven Ein­schränk­ungen (leicht bis schwer)50 bis 100
Ar­tiku­lations­störungen (sofern ge­sprochene Sprache un­ver­ständlich ist)50
Dyslexie und Legasthenie (mit schwerer Leis­tungs­beein­trächtigung)50
Autismus-Spektrum-Störung50 bis 100

Wichtig: Behinderungen lassen sich nicht nur auf geistige oder körperliche Einschränkungen zurückführen. Auch einige andere bekannte Krankheiten und Beschwerden können mitunter in Deutschland als eine Schwerbehinderung anerkannt werden. Zu diesen zählen unter anderem folgende.

  • Schlaganfälle (leicht, mittel oder schwer)
  • Tinnitus (sofern dieser mit schweren psychischen Störungen einhergeht und das soziale Leben einschränkt)
  • andere Krebserkrankungen (mitunter in frühen, hauptsächlich in fortgeschrittenen Stadien)
  • Herz-Kreislauf-Störungen (Einschränkungen bei leichter oder keiner Belastung)
  • Asthma
  • stark ausgeprägte psychische Erkrankungen (Zwangsstörungen, Schizophrenie, Depression etc.)
  • schwere Ausprägungen von Akne (Acne inversa)
  • Diabetes (mit mindestens 4x täglicher Injektion von Insulin)
  • Rheuma

Antrag auf Schwerbehinderung nach Schwerbehindertenrecht

Schwerbehindertenrecht: Formulare für die Antragstellung finden Sie auf den Webseiten der zuständigen Versorgungsämter.
Schwerbehindertenrecht: Formulare für die Antragstellung finden Sie auf den Webseiten der zuständigen Versorgungsämter.

Grundsätzlich liegt die Zuständigkeit für das Schwerbehindertenrecht und Ihren Antrag auf Schwerbehinderung oder ähnliches bei dem in Ihrem Bundesland jeweils zuständigen Versorgungsamt. Das bedeutet, es ist sowohl für Antragstellungen als auch alle möglichen Fragen bei etwaigen Unklarheiten die erste wichtige Anlaufstelle.

Zu den primär gestellten Anträgen zählen bspw. die folgenden:

  1. Erstfeststellungsantrag: Dieser Antrag kommt für Sie in Frage, wenn Sie zum ersten Mal feststellen lassen möchten, inwiefern bei Ihnen eine Schwerbehinderung vorliegt und welchen GdB diese hat. Dafür muss bei Ihnen jedoch eine gesundheitliche Beeinträchtigung vorliegen, die länger als 6 Monate besteht und sich entweder negativ auf Ihre körperliche oder geistige Gesundheit auswirkt. Die dazugehörigen medizinischen Unterlagen (Gutachten, Arztberichte etc.), Ausweisdokumente und Aufenthaltstitel (falls Sie kein deutscher Staatsbürger sind) müssen Sie ebenfalls einreichen. Das zuständige Versorgungsamt schickt Ihnen dann einen Feststellungsbescheid, ob Sie nach dem Schwerbehindertenrecht als schwerbehindert gelten oder nicht.
  2. Änderungsantrag: Hat sich Ihr Gesundheitszustand im Vergleich zur ersten Beurteilung Ihres GdB geändert, können Sie diesen erneut prüfen lassen. Das schließt sowohl Verbesserungen als auch Verschlechterungen mit ein. Zu den erforderlichen Dokumenten gehören in diesem Fall Ihr ursprünglicher Feststellungsbescheid sowie aktuelle Diagnosen, die die gesundheitlichen Veränderungen widerspiegeln. Im Anschluss wird Ihr Grad der Behinderung entweder nach oben oder unten korrigiert, kann aber auch unverändert bleiben.
  3. Verschlimmerungs-/Neufeststellungsantrag: Ähnlich wie beim Änderungsantrag, können Sie nach dem Schwerbehindertenrecht auch einen Verschlimmerungsantrag stellen, wenn sich Ihre bereits anerkannte Schwerbehinderung verschlechtert. Allerdings betrifft dies in der Regel nur besonders schwerwiegende Verschlechterungen, die Sie mithilfe ärztlicher Gutachten bestätigen können. Stimmt das Versorgungsamt Ihrem Antrag zu, erhöht sich Ihr GdB entsprechend Ihres schlechteren Gesundheitszustands. Je nach Fall sind auch neue Merkzeichen für besondere Nachteilsausgleiche möglich.

Wichtig: Haben Sie einen Grad der Behinderung von 30 bis 49 und möchten sich mit Schwerbehinderten gleichstellen lassen, können Sie einen sogenannten Gleichstellungsantrag stellen. Nach einer Bewilligung stehen Ihnen dann die gleichen Rechte und Begünstigungen zu, die auch Menschen mit einem GdB von 50 oder mehr zugutekommen. Zweifeln Sie hingegen an der ursprünglichen Einschätzung des Versorgungsamts, haben Sie auch nach deutschem Schwerbehindertenrecht die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen.

Schwerbehindertenrecht auf der Arbeit – Begünstigungen für Arbeitnehmer

Vorteile für schwerbehinderte Arbeitnehmer können beim Schwerbehindertenrecht bspw. die Rente oder die Arbeitszeit betreffen.
Vorteile für schwerbehinderte Arbeitnehmer können beim Schwerbehindertenrecht bspw. die Rente oder die Arbeitszeit betreffen.

Schwerbehinderte Arbeitnehmer können laut Schwerbehindertenrecht am Arbeitsplatz von einigen Vorteilen profitieren, die es für andere Mitarbeiter ohne Schwerbehinderung nicht gibt.

Dazu gehören gemäß des SGB IX bspw. die folgenden:

  1. besonderer Kündigungsschutz erschwert eine Kündigung bei Schwerbehinderung (§ 168)
  2. 5 zusätzliche Urlaubstage pro Jahr bei einer regulären 5-Tage-Woche (§ 208)
  3. Beratung und Unterstützung durch das Integrationsamt (inklusive finanzieller Förderungen für einen barrierefreien Arbeitsplatz oder benötigte Hilfsmittel)
  4. Anspruch nach dem Schwerbehindertenrecht auf reduzierte Arbeitszeit in Form von Teilzeitarbeit und flexiblere Arbeitsgestaltung (§ 164 Abs. 4)
  5. Schutz vor Mehrarbeit, wenn Überstunden gesundheitlich nicht zumutbar sind (§ 207)
  6. vorzeitige Schwerbehindertenrente ab 65 Jahren (mit Abschlägen von maximal 10,8 % schon ab 62)
  7. Steuerermäßigungen über den Behindertenpauschbetrag von 1.140 bis 2.840 Euro (Merkzeichen wie H, BI oder TBI ermäßigen sogar 7.400 Euro)

Wichtig: Sobald ein Unternehmen eine Mitarbeiterzahl von 20 überschreitet, ist Ihr Arbeitgeber außerdem verpflichtet, mindestens 5 % der Stellen mit Schwerbehinderten zu besetzen. Die Agentur für Arbeit erwartet deshalb, dass er jedes Jahr meldet, wie viele Menschen mit Schwerbehinderung er dort beschäftigt. Das muss er anhand einer Anzeige nach dem Schwerbehindertenrecht gemäß § 163 Abs. 2 des SGB IX tun. Dafür gibt es eine prinzipielle Frist vom 31. März des jeweiligen Jahres.

Folgende Quoten gelten dabei je nach Anzahl der Arbeitnehmer für den Arbeitgeber (inklusive der fälligen Ausgleichsabgabe, wenn die Quote unterschritten wird):

Mind. 20 bis 40 Mitarbeiter monatlich

  • mind. 1 Arbeitsplatz (alle Bruchteile abrunden)
  • 140 Euro, wenn kein Schwerbehinderter die Stelle besetzt

Mind. 40 bis 60 Mitarbeiter monatlich

  • mind. 2 Arbeitsplätze (alle Bruchteile abrunden)
  • 245 Euro für jede von Schwerbehinderten unbesetzte Stelle

Mind. 60 oder mehr Mitarbeiter monatlich

  • mind. 5 % der Arbeitsplätze (0,5 oder mehr aufrunden)
  • 140 Euro bei 3 bis 5 %, 245 Euro bei 2 bis 3% und 360 Euro bei unter 2 % pro unbesetzte Stelle

Wichtig: Wie kann Ihnen ein Rechtsanwalt für Schwerbehindertenrecht im Bereich „öffentlicher Dienst“ helfen? Im Gegensatz zur Privatwirtschaft gibt es im öffentlichen Dienst mitunter von den allgemeinen gesetzlichen Bedingungen abweichende Regelungen (bspw. die Pflicht zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch gemäß § 165 S. 3 des SGB IX). Möchten Arbeitgeber einen Schwerbehinderten dennoch nicht einladen, müssen sie nachweisen, dass dieser fachlich nicht für die Stelle geeignet ist (§ 165 S. 4). In seinem Urteil (8 AZR 279/20) vom 29. April 2021 bekräftigte das Bundesarbeitsgericht (BAG) dies.

Die (Nicht-)Erfüllung der Auswahlkriterien von Arbeitgebern sind hier anhand der Bewerbungsunterlagen allerdings oft schwer objektiv zu beurteilen. Schwerbehinderte sollten also grundsätzlich selbst dann zum Gespräch geladen werden, wenn ihre Eignung vorab nicht klar einzuschätzen ist. Stimmen Sie der Entscheidung eines Arbeitgebers nicht zu, weil Sie vermuten, dass er Sie nur aufgrund Ihrer Schwerbehinderung vom Auswahlverfahren ausgeschlossen hat, können Sie auch rechtliche Schritte einleiten. Ein im Schwerbehindertenrecht versierter Anwalt kann Sie dahingehend ausführlicher beraten.

Quellen und weiterführende Links

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Über den Autor

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Arnhold H.

Arnhold hat Abschlüsse in Musik- und Medienwissenschaften von der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2024 verstärkt er das Team von anwalt.org. Dabei liegen seine Schwerpunkte mitunter im Verkehrsrecht sowie diversen, kleineren Rechtsthemen.

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