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FAQ: Pflichtteilsergänzungsanspruch
Ein Pflichtteilsergänzungsanspruch kann bestehen, wenn der Erblasser zu Lebzeiten einem anderen Erben durch eine Schenkung vorab quasi einen „größeren“ Anteil des Erbes ausgezahlt hat.
Sie können einen Pflichtteilsergänzungsanspruch haben, wenn Sie bei der Schenkung des Erblassers zu Lebzeiten nicht bedacht wurden. Hier lesen Sie mehr dazu.
Ja. Sie können im Rahmen vom Pflichtteilsverzicht auch auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch verzichten.
Erbberechtigte Personen, die der Erblasser testamentarisch aus der Erbfolge ausschließt, also enterbt, können dennoch in aller Regel den sogenannten Pflichtteil geltend machen. Dieser beläuft sich regelmäßig auf die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruches – entsprechend der gesetzlichen Erbfolge. Um den Pflichtteil unliebsamer Angehöriger zu schmälern, neigt der ein oder andere Erblasser dazu, noch zu Lebzeiten im Rahmen größerer Schenkungen den Nachlass zu verringern.
Das funktioniert jedoch nicht. Grundsätzlich können Pflichtteilsberechtigte einen Ergänzungsanspruch stellen, der sich aus der Einbeziehung der geleisteten Schenkung ergibt. Doch was genau ist der Pflichtteilsergänzungsanspruch? Wie kann die Berechnung einer möglichen Pflichtteilsergänzung bewerkstelligt werden? Welche Fristen gelten?
Wann besteht ein Pflichtteilsergänzungsanspruch nach BGB?
Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) gibt auch in Bezug auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch des potentiellen Erben Vorgaben mit auf den Weg. Wie bereits angedeutet, bezieht sich dieser rechtliche Anspruch vor allem auf Schenkungen, die der Erblasser noch zu Lebzeiten tätigte. Diese schmälern nämlich am Ende die Erbschaft und damit auch den Pflichtteil. Aus diesem Grund können nicht bedachte Pflichtteilsberechtigte einen Ergänzungsanspruch geltend machen.
Beim Pflichtteilsergänzungsanspruch wird das Erbe so behandelt, als sei die Schenkung zu Lebzeiten des Erblassers nicht erfolgt. Der Nachlasswert erhöht sich somit um den Schenkungswert bzw. zumindest einen bestimmten Prozentsatz des verschenkten Vermögens, sodass sich der Pflichtteil des Berechtigten erhöht (§ 2325 BGB).
Berechnung vom Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Schenkung einer Immobilie
Die für den Pflichtteilsanspruch anzustellende Berechnung orientiert sich zum einen an der Höhe des Niederstwertes der Schenkung, zum anderen an der Anzahl der Jahre, die der Vorgang bereits zurückliegt.
Im ersten Jahr nach der Schenkung kann der Pflichtteilsberechtigte noch 100 Prozent des Niederstwertes zum Nachlass hinzurechnen.
Mit jedem Jahr sinkt der einzubeziehende Wert für die Berechnung vom Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Schenkungen nach § 2325 Absatz 3 BGB um jeweils 10 Prozent:
Schenkung erfolgte im ... Jahre vor dem Erbfall | anrechenbarer Schenkungswert |
---|---|
1. | 100 % |
2. | 90 % |
3. | 80 % |
4. | 70 % |
5. | 60 % |
6. | 50 % |
7. | 40 % |
8. | 30 % |
9. | 20 % |
10. | 10 % |
11. | 0 % |
Beim Pflichtteilsergänzungsanspruch tritt die Verjährung entsprechend nach Ablauf der 10-Jahresfrist ein. Hiernach erfolgt keine Anrechnung mehr auf den Nachlass, der Anspruch des Pflichtteilsberechtigten entfällt.
Pflichtteilsergänzungsanspruch: Berechnungsbeispiel zur Veranschaulichung
Der Erblasser, Karl Knausrig, hat seine Tochter, Karla Klunker geb. Knausrig enterbt. Er schenkt seinem geliebten Sohn, Konstanz Knausrig, viereinhalb Jahre vor dessen Ableben seine Villa im Münchner Umland. Der Niederstwert der Schenkung liegt bei insgesamt 500.000 Euro. Die restliche Erbschaft zum Todeszeitpunkt beträgt 300.000 Euro.
Andere Erbberechtigte außer der Kinder sind zum Zeitpunkt von Karls Versterben nicht mehr vorhanden. Karla hat trotz Enterbung einen generellen Pflichtteilsanspruch. Dieser beläuft sich auf die Hälfte der gesetzlichen Erbquote = ¼ (gesetzlich ½).
Ihr Anspruch beläuft sich also auf 75.000 Euro (¼ von 300.000). Doch durch die Schenkung wurde der Nachlass verringert, sodass sich ein Pflichtteilsergänzungsanspruch auf Seiten der Tochter ergibt.
Der Wert der Schenkung belief sich ursprünglich auf 500.000 Euro, wird jedoch nach § 2325 Absatz 3 BGB nicht mehr voll angerechnet, sondern verringert sich nunmehr auf 60 % (im fünften Jahr vor dem Versterben). Der anzurechnende Schenkungswert beläuft sich mithin auf 300.000 Euro (60 % von 500.000).
Auch hierauf hat Karla einen Anspruch in Höhe von ¼. Damit ergibt sich für den Pflichtteilsergänzungsanspruch nach dieser Berechnung eine Summe von 75.000 Euro, die Karls Tochter als Pflichtteil geltend machen kann. Insgesamt erhöht sich ihr Pflichtteil damit auf 150.000 Euro – aus einem anzurechnenden Nachlasswert von insgesamt 600.000 Euro.
Ein Problem ergibt sich jedoch, wenn Karl sich mit der Schenkung ein lebenslanges Nießbrauchrecht zuteilen ließ. Denn dies hat maßgeblichen Einfluss.
Vorsicht mit dem Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Nießbrauch!
Was geschieht, wenn der Beschenkte dem Schenkenden nun im Rahmen des Schenkungsvertrages lebenslangen Nießbrauch gewährt? Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist auch hier bestimmt. Das Problematische: Durch den gewährten Nießbrauch wird die Verjährungsfrist gehemmt. Diese beginnt nämlich in diesem Fall erst mit der Beendigung des Nießbrauchs – also in der Regel mit dem Tod des Erblassers.
Damit kann auch eine Schenkung, die vor über 10 Jahren erfolgte, mit Eintritt des Erbfalls voll angerechnet werden, da die Verjährungsfrist erst dann beginnt. Damit verändert sich die für den Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Nießbrauch anzustellende Berechnung wie folgt (analog zum obigen Beispiel):
Da Karl sich bei Übertragung der Schenkung ein Nießbrauchsrecht an der Villa einräumen ließ, spielt die Dauer, die diese zurückliegt nun keine Rolle mehr. Die Verjährungsfrist beginnt erst mit dem Ende des Nießbrauchs bei dessen Versterben. Die Schenkung wird beim Pflichtteilsergänzungsanspruch also so behandelt, als sei sie erst im Jahr vor dem Erbfall erfolgt.
Das bedeutet: Karla kann einen Ergänzungsanspruch auf Grundlage des vollen Niederstwertes erheben, der 500.000 Euro beträgt. [Wichtig: Angenommen wird hier, dass der Nießbrauch keine Einbußen für den Beschenkten bedeutet und Karl keine Einnahmen aus der Nutzung generierte. In diesem Falle müssten diese Werte von dem Schenkungswert in Abzug gebracht werden.]
Bei ¼ Pflichtteilsanspruch ergibt sich für Karla damit ein Ergänzungsanspruch in Höhe von 125.000 Euro, Der Pflichtteil beträgt insgesamt 200.000 Euro (75.000 + 125.000).
Ähnlicher Einfluss auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch bei gewährtem Wohnrecht?
Dem ein oder anderen stellt sich die Frage, ob auch ein eingeräumtes Wohnrecht im Rahmen einer Schenkung einen ähnlich hemmenden Einfluss auf die Verjährungsfrist der Pflichtteilsergänzungsansprüche hat. Der Bundesgerichtshof (BGH) traf hierzu am 29.06.2016 ein maßgebendes Urteil (Aktenzeichen: VI ZR 474/15):
- Sofern sich das Wohnrecht dem Schenkenden – und keinem Dritten – nur an einem Teil der verschenkten Immobilie gewährt wird, ist in aller Regel nicht von einer Hemmung auszugehen.
- Bezieht sich das Wohnrecht auf die gesamte Immobilie, kann dies eine ähnliche Wirkung auf die Verjährungsfrist haben, wie ein gewährter Nießbrauch.
- Grundsätzlich ist eine Pauschalisierung der Bestimmung nicht möglich. Es bedarf stets der Betrachtung des jeweiligen Einzelfalls.
Bei der für den Pflichtteilsergänzungsanspruch zu erstellenden Berechnung kann das Wohnrecht also entweder wie beim Nießbrauch hemmende Wirkung haben oder eben nicht. Der Einzelfall entscheidet.
Ehebedingte Zuwendung: Pflichtteilsergänzungsanspruch in voller Höhe
Eine Besonderheit betrifft Schenkungen zwischen Ehegatten. Bei diesen beginnt die 10-Jahresfrist nämlich frühestens mit Auflösung der Ehe. Wenn die Ehegatten, die untereinander Schenkungen vollzogen, noch zum Zeitpunkt des Todesfalles verheiratet waren, bezieht sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch immer auf die vollständige Schenkung.
Im Übrigen fallen kleinere Geschenke und Aufmerksamkeiten nicht mit in die Berechnung hinein. Nur größere, nicht unerhebliche Schenkungen finden bei der Regelung zum Pflichtteilsergänzungsanspruch Berücksichtigung.
Verzicht auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch
Im Rahmen eines Pflichtteilsverzichts ist auch der Pflichtteilsergänzungsanspruch bei dem Verzicht eingeschlossen. Diese Regelungen finden sich zumeist in Ehegattentestamenten, bei denen sich die Ehegatten gegenseitig als Alleinerben einsetzen und deren Kinder oder Dritte als Schlusserben benennen.
Damit einhergehend wird zumeist mit den Pflichtteilsberechtigten ein Pflichtteilsverzicht bestimmt, der nach dem Erstverstorbenen geltend gemacht werden kann. Damit geht die Erbschaft zunächst gänzlich an den überlebenden Ehegatten. Erst nach dessen Versterben können die Pflichtteilsberechtigten dann entsprechende Forderungen gegenüber den Erben erheben.
Durch solche Regelungen soll verhindert werden, dass die Pflichtteilsberechtigten sowohl nach dem erstversterbenden als auch nach dem letztversterbenden Ehegatten einen Pflichtteilsanspruch erheben können.