Wutattacken kleiner Kinder kommen zum Leidwesen vieler Eltern immer wieder einmal vor. Gerade, wenn er nicht seinen Willen bekommt, schlägt der kleine Rabauke auch mal wild um sich. Doch schnell erlernen Menschen, aggressive Impulsive zu zügeln, da derartige Verhaltensweisen nicht sozial angebracht sind.
Doch in manchen Fällen wirken gewaltverherrlichende Filme, Computerspiele oder die Erreichbarkeit von Waffen der Ausprägung solcher Aggressionshemmer entgegen.
Werden solche gesellschaftlichen Faktoren durch individuelle soziale Misserfolge ergänzt, kann daraus ein gefährlicher Gewalt-Cocktail entstehen, der im Ernstfall einen ruhigen, unscheinbaren Menschen in einen brutalen Amokläufer zu verwandeln in der Lage ist.
Wie in Trance richtet dieser dann blindlinks Schaden an, mit dem einzigen Ziel, immer neue Opfer ins Fadenkreuz zu nehmen und medienwirksam ein Schlachtfeld der Verwüstung zu hinterlassen, bis er sich am Ende selbst richtet, durch polizeiliches Eingreifen das Leben verliert oder für seine Straftaten büßen muss.
Wie kommt es aber zu einem solchen Amoklauf und was treibt die Amokläufer auf ihrer Mission der puren Zerstörung an? Der folgende Ratgeber informiert Sie umfassend über das Thema und stellt eine Definition für den Amoklauf bereit, erklärt Ursachen und die Besonderheiten bei einem Amoklauf an einer Schule.
Inhalt
FAQ: Amoklauf
Hier können Sie nachlesen, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Amoklauf definiert.
Das Strafmaß wird im Einzelfall festgelegt. Hat der Amokläufer Erfolg und begeht mehrere Morde, ist eine lebenslängliche Freiheitsstrafe wahrscheinlich.
Hier finden Sie eine Übersicht, welche Warnsignale auf einen Amoklauf hindeuten können und wie dieser verhindert werden kann.
Was ist ein Amoklauf – Eine Definition
Gewalt ist in der Allgemeinheit tendenziell ein recht negativ konnotierter Begriff, da er zumeist mit Körperverletzungen oder ähnlichen Beeinträchtigungen assoziiert wird. Analog dazu definiert das Bundeszentrum für politische Bildung Gewalt als physischen oder psychischen Zwang.
Es handelt sich hierbei also um eine Erscheinungsform, die unerwünscht ist, ja mehr noch, in der westlichen Gesellschaft verachtet und nicht toleriert wird. Dennoch gibt es Bereiche, in denen eben diese Zuschreibung ausgehebelt ist und Gewaltanwendung akzeptiert und rechtlich legitimiert ist: beim Militär.
Jeder Soldat weiß, dass er im Notfall, genauer gesagt im Falle eines Krieges, zur Waffengewalt verpflichtet sein kann. Entgegen mancher pazifistischer Behauptungen handelt es sich bei Soldaten jedoch keineswegs um skrupellose Killer, die Spaß daran haben, andere Menschen zu töten.
Zu groß war die Hemmschwelle, einem Unschuldigen das Leben zu nehmen. Doch genau diese innere Barriere, die selbst in kriegerischen Ausnahmesituationen für die meisten Menschen aufrechterhalten bleibt, hat ein Amokläufer gänzlich abgelegt.
Getrieben von rücksichtsloser Aggression hat der Täter von einem Amoklauf keinerlei Moralverständnis mehr, welches ihn in seinem Wüten zügeln könnte. Denn gesellschaftsphilosophische Kategoriegefüge wie Schuld und Unschuld, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit sind nicht mehr präsent. Stattdessen herrscht in den meisten Fällen der pure Hass.
Daher war es laut dem 1882 erschienen „Brockhaus Conversations Lexikon“ auch gestattet, Amokläufe zu beenden, indem von Wut befallene, mit einem Messer um sich stechende Täter getötet wurden.
Wenngleich keine einzig gültige Definition existiert, wird doch zumeist auf die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verwiesen. Diese schreibt dem Amok folgende Bedeutung zu: Es handelt sich um eine
willkürliche, anscheinend nicht provozierte Episode mörderischen oder erheblichen (fremd-)zerstörerischen Verhaltens.
Früher war ein Amoklauf definitorisch zusätzlich durch psychische Störungen mit einem aggressiven Aktionsdrang sowie dem Empfinden einer enormen Demütigung und Verwirrung gekennzeichnet.
Auch in den Dienstvorschriften der deutschen Polizei spielen Amokläufe eine wichtige Rolle. In der Polizeidienstvorschrift (PDV) 100 findet sich bei Nummer 4.11 a die Erklärung dafür, wann eine sogenannte Amoklage vorliegt.
Hiernach sind folgende Merkmale kennzeichnend:
- Der Amokläufer handelt unwillkürlich oder kontrolliert.
- Es kommt zum Einsatz von Waffen, Sprengstoff, gefährlichen Werkzeugen oder anderen Formen der Gewaltanwendung.
- Ziel des Täters ist es, einen bestimmten Personenkreis zu verletzen oder zu töten.
Neben der Begrifflichkeit Amok oder Amoklauf findet bei derartigen Taten teilweise der Ausdruck des Massenmordes Anwendung. Es ist auch möglich, den Amoklauf als eine Unterkategorie des Massenmordes einzuordnen.
Auch der erweiterte Suizid wird in diesem Zusammenhang des Öfteren genannt. Hierbei geht mit dem eigenen Selbstmord die Tötung Dritter einher, was auf viele Amokläufe zutrifft. Denn in 26 bis 46 Prozent aller Taten endet ein Amok mit Selbstmord.
Grundsätzlich lassen sich die unterschiedlichen Gewaltformen, derer sich Amokläufer bedienen, in verschiedene Gruppen unterteilen:
- Gewaltausübung aus der Ferne, sodass eine direkte Gegenüberstellung mit den Opfern ausgeschlossen wird (z.B. mittels Bomben)
- Fokussierung auf ein widerstandsloses Opfer unter Ausnutzung eines ungleichen Kräfteverhältnisses (z.B. als Amokschütze unter Waffeneinsatz, aber auch typisch für Häusliche Gewalt)
- Direkte Konfrontation durch ein Selbstmordattentat (z.B. bei einem Amokfahrer, der sich und andere mit einer Autobombe in die Luft sprengt)
Historischer Hintergrund – Selbst- und Fremdzerstörung als kulturell verankertes Phänomen
Anders als viele Menschen glauben, ist das Phänomen „Amoklauf“ keineswegs aktuell, sondern geht auf eine tief verwurzelte Tradition zurück.
Es sind also nicht die Medien oder Computerspiele, die einen Amoklauf als Symbol einer scheinbar gewaltverherrlichenden Gesellschaft erscheinen lassen, wie so manch Kritiker behauptet. Stattdessen gehen die Ursprünge auf Zeiten zurück, in denen eine derartige Technisierung und Medialisierung noch nicht einmal in den Kinderschuhen steckte, weil es noch allzu ferne Zukunftsmusik war.
Im 15. Jahrhundert war ein Amoklauf Teil des militärischen Instrumentariums bzw. eine Kampftaktik bei feindlichen Auseinandersetzungen. „Amucos“ waren damals Krieger, die den Gegner mit Todesverachten angriffen und ihn dabei mit ihrem Kampfgeschrei „Amok, Amok!“ einschüchterten. Manche Herrscher hielten sich gar „Amucos“-Einheiten, um für den Kampffall gerüstet zu sein.
Diese Vorgehensweise geht sogar noch weiter zurück bis ins Mittelalter, wo diejenigen, die sich in einer Schlacht auf den Feind stürzten, als „Berserker“ bezeichnet wurden.
1430 beschrieb der Portugiese Nicolo Conti erstmals einen Amoklauf, der nicht militärischer, sondern individueller Ausprägung war. Diese Form verdrängte mehr und mehr den politisch praktizierten Amoklauf.
Grundlage für einen persönlich motivierten Amokläufer war anfänglich insbesondere eine Verschuldung. Da bei Zahlungsunfähigkeit die Versklavung drohte, entschlossen sich einige Schuldner, Amok zu laufen, um so die eigene Tötung herauszufordern und einen ehrenvollen Tod zu sterben.
Im Laufe der Jahrhunderte hat sich diese Kausalitätskette zwar verschoben, aber parallel dazu hat auch die Häufigkeit von Amokläufen zugenommen.
Terrorismus und Amok – Ist das ein- und dasselbe?
Häufig wird in der Öffentlichkeit bei terroristischen Selbstmordattentätern auch von Amokläufern gesprochen. Doch diese Begriffsvermischung kann Missverständnisse herbeiführen, da es sich um zwei unterschiedliche Bereiche handelt.
Ein Akt des Terrorismus geht stets auf eine politische Motivation zurück. Es handelt sich um Gewalttaten, welche dazu dienen, die gesellschaftlichen Strukturen in ihrer Gesamtheit zu zerstören.
Ziel ist es, in der Öffentlichkeit Angst und Schrecken zu verbreiten. Der religiöse oder ideologische Gehalt der Tat ist hierbei entscheidend. Der Täter ist somit ein instrumentalisierter Vertreter eines Konzepts. Folglich setzt auch die Terrorismusbekämpfung andere Akzente als die Amok-Prävention.
Juristisch betrachtet, ist diese Differenzierung zunächst unwesentlich, da es sich in beiden Fällen in der Regel um einen mehrfachen Mord handelt. Allerdings können die oftmals vorliegenden psychischen Störungen des Amokläufers zu Strafmilderungen führen.
Terroristen sind hingegen zumeist psychisch gesund und sich daher dem Unrecht ihrer Tat in vollem Umfang bewusst.
Was passiert bei einem Amoklauf? Von der Androhung zur Durchführung
Immer wieder wird versucht, bei einem Amoklauf die Psychologie zu verstehen, die sich hinter einem solch skrupellosen Gewaltakt verbirgt. Gerade auch im Hinblick auf eine effektive Amok-Prävention kann es hilfreich sein, die ersten Phasen der Entstehung frühzeitig zu erkennen und deeskalierend gegenzusteuern.
Mehrstufenmodell nach Gimlette
1901 fasste der englische Autor John Gimlette einen Amoklauf erstmals als mehrstufiges Geschehen. Er unterschied vier Phasen, die charakteristisch für Amokläufe sein sollten.
- Vorstadium
In dieser Phase verfällt der Amokläufer in ein tiefes Grübeln und entwickelt dabei negative und nervliche angeschlagene Stimmung. Häufig sind auch Erkrankungen, desozialisierende Tendenzen, Demütigungen und eine Beeinträchtigung des sozialen Status erkennbar.
- Tat
Die zuvor aufgebaute Spannungssituation findet dann in der Tat ihren explosiven Ausgang. Eine Kontrolle der aggressiven Impulse kann nicht erfolgen und dies bricht sich in ungezügelten Gewaltakten Bahn. Der Amokläufer selbst ist während seines blinden Wütens nicht ansprechbar und handelt wie in einem Trancezustand.
- Suizid
Häufig endet ein Amoklauf in einem Selbstmord. Es gilt, eben diesen vorab spektakulär zu inszenieren und endlich die Aufmerksamkeit zu erhalten, die all die Zeit zuvor so schmerzlich vermisst wurde.
- Amnesie
Endet der Amoklauf nicht in der Selbsttötung, weil der Täter sich stellt oder von der Polizei überwältigt und später einer Freiheitsstrafe zugeführt wird, ist zumeist ein schlafähnlicher Zustand feststellbar. Zusätzlich dazu kann es zu einer seelischen und körperlichen Erstarrung kommen, die von depressiven Stimmungen begleitet wird.
Dieses Stufenmodell sollte nicht als feste Schablone stereotypisiert werden. Gerade durch die große Zeitspanne, die zwischen dieser Beschreibung und heutigen Amokläufen liegt, können sich die Phasen gewandelt haben. Dennoch trägt diese Aufsplittung zum allgemeinen Verständnis bei.
Typische Anzeichen und Vorgehensweisen der Amokläufer
Immer wieder suchen Psychologen, Juristen, Polizeibeamte und Angehörige der Opfer bei einem Amoklauf Gründe für eine solche Tat, die neben all der Brutalität vor allem eines ausstrahlt: Verzweiflung.
Diese Traumwelten finden sich nicht selten in Briefen, SMS, Emails oder Posts auf Sozialen Plattformen wieder. Auf diesen Wegen findet nicht selten auch eine Androhung von einem Amoklauf statt, was unmittelbares Einschreiten erfordert.
Haben sich diese Gedanken zunehmend verfestigt, richten sich die Vorstellungen auf die konkrete Planung der Tat. Der Täter überlegt sich für seinen Amoklauf genau, was er tun bzw. wie er vorgehen wird. Neben dem puren Morden und Verletzten kann beispielsweise auch eine Entführung stattfinden.
Es werden erste Vorbereitungsmaßnahmen getroffen, wie beispielsweise das Verfassen von Abschiedsbriefen oder die Besorgung von Waffen. Dadurch zieht sich der zukünftige Amokläufer zunehmend aus der Gesellschaft zurück.
Wird nicht ein spezielles Datum für den Amoklauf vorherbestimmt, genügt nun der kleinste, banalste Anlass als Initialzündung, um das Pulverfass zur Explosion zu bringen. Ist dann der erste Schuss abgefeuert, sind zumeist sämtliche Hemmungen über Bord geworfen.
Das Verhalten bei einem Amoklauf ist geprägt von Unzurechnungsfähigkeit und radikaler Gewaltbereitschaft. Auf der finalen Suche nach Anerkennung erheben sich die Amokläufer dann zu Tyrannen, die erbarmungslos ihre Opfer ins Visier nehmen.
Für manche Amokläufer vollzieht sich dann eine akribisch geplante Inszenierung, die festen rituellen Regeln folgt und in einen Suizid gipfelt.
Als Tatort wird in der Regel eine Örtlichkeit gewählt, die mit der psychischen Verletzung vom Amokläufer in Zusammenhang steht. Neben Schulen können dies ebenso das Büro oder ein Gerichtsgebäude sein, weil dort eventuell Erpressungen stattfanden oder als ungerecht empfundene Entscheidungen gefällt wurden.
Amoklauf: Statistik aggressiver Gewaltperioden
Wenngleich Statistiken in derartigen Zusammenhängen immer einen reißerischen Effekt haben, sind sie doch bisweilen hilfreich, um ein klareres Bild von gewissen Phänomenen zu gewinnen. Sie machen die Brisanz eines Themas bewusst und können gleichzeitig dafür sorgen, eine subjektiv gefärbte Fehlvorstellungen abzubauen.
Zweimal pro Jahr findet ein Amoklauf in Deutschland statt. Derart heftige Geschehnisse wie in Erfurt sind statistisch gesehen eher unüblich und ereignen sich maximal alle 30 Jahre.
Der Amoklauf, der weltweit die meisten Todesopfer nach sich zog, fand 2011 in Norwegen statt. Bezogen auf Deutschland führt der 2002 in Erfurt stattgefundene Amoklauf die traurige Todesstatistik an.
Immer wieder wird fieberhaft nach den Ursachen für Amokläufe gesucht. Forscher und Psychologen fragen sich gleichermaßen, welche Einflussfaktoren zu solchen menschlichen Wutausbrüchen führen. Auch die Öffentlichkeit verfällt schnell in Spekulationen.
Hinsichtlich sogenannter School-Shootings, das sind Amokläufe an deutschen oder ausländischen Schulen, sieht die Mehrheit (34 Prozent) die Hauptschuld in gewaltverherrlichenden Computerspielen. Zu 30 Prozent werden die Eltern für den Amoklauf ihrer Kinder verantwortlich gemacht.
18 Prozent sehen eine Gefahr in Filmen, Medien und dem Internet, wohingegen nur 4 Prozent die Schule als Risikofaktor betrachten.
Gerade in Zusammenhang mit Computerspielen und den Medien wird immer wieder diskutiert, inwiefern digitale Welten mit gewalttätigen Inhalten zu einem Amoklauf beitragen. Sind es wirklich Ego-Shooter und Co., die aus friedfertigen Schülern skrupellose Amokläufer machen?
Wenn aus Spiel Ernst wird: Der Einfluss von Computerspielen und Medien auf Amokläufe
Amokläufe sind tragische Unglücksfälle, die neben Schmerz und Trauer vor allem Fassungslosigkeit und Unverständnis hinterlassen. Da solche herzlosen Taten völlig dem Moral- und Normverständnis der Gesellschaft wiedersprechen, sind die Menschen bemüht, ein „schwarzes Schaf“ zu bestimmen. Denn nur so kann der Bruch, den die Allgemeinheit erlitten hat, kompensiert werden, ohne die eigene Lebenswirklichkeit weiter in Frage stellen zu müssen.
Computerspiele sind da eine willkommene Größe. Dennoch sehen hiesige Wissenschaftlicher in Videospielen nicht den primären Auslöser für Amokläufe an deutschen Schulen.
Auch wenn Amokläufer häufig ein Interesse für gewalttätige Spiele und Filme aufweisen, erwecken solche Inhalte nicht unumgänglich aggressive Tendenzen, die vorher nicht existiert haben.
Ein entscheidendes Argument, welches Computerspiele hierbei entlastet, ist die Tatsache, dass es Amokläufe schon zu nicht technisierten Zeiten gab. Nichtsdestotrotz ist die Bedeutung von solchen Spielen heutzutage nicht zu vernachlässigen.
Ein regelmäßiger Konsum, insbesondere von Ego-Shootern, kann eine erhöhte Treffsicherheit nicht nur im digitalen, sondern auch im realen Raum nach sich ziehen. Selbst die US-Armee nutzt Spiele dieser Art als Trainingsmöglichkeit für ihre Soldaten.
Auch die Berichterstattung über Amokläufe kann folgenschwere Auswirkungen haben, indem sie zu Nachahmern führt. Der in der Selbstmord-Forschung etablierte Begriff des Werther-Effektes spielt auch bei Amokläufern eine wichtige Rolle.
Junge Amokläufer, die ihre Tat als heroischen Racheakt und Machtdemonstration inszenieren, können ein hohes Identifikationspotenzial in sich bergen. Junge Menschen mit mangelndem Selbstwertgefühl und der Unfähigkeit, Wut und Zorn zu kompensieren, laufen dann Gefahr, sich an solchen Taten ein Vorbild zu nehmen.
Forscherteams der Universität Würzburg und einer amerikanischen Hochschule konnten in diesem Zusammenhang in ihren Untersuchungen zu der Erkenntnis gelangen, dass durchschnittlich zehn Tage nach einem Amoklauf eine Nachahmungstat stattfindet.
School-Shootings – Sonderformen von Amoktaten
Insbesondere Schulen, die Orte also, an denen Kinder ihre Persönlichkeit ausprägen, erste berufliche Wegweisungen erhalten und ihre soziale Kompetenz erproben, sind oftmals Tatort von Amokläufen.
Allerdings sind derartige Geschehnisse weit von der ursprünglichen blindwütigen Raserei eines Amoklaufes entfernt. Da hier Jugendliche mit einer rationalen Zielgerichtetheit ihre Schule bzw. Mitschüler und Lehrer attackieren. Das FBI hat daher für Amoktaten im schulischen Umfeld den Begriff „School-Shooting“ etabliert.
Den ersten Amoklauf an einer Schule, in dem ein Jugendlicher der Täter war, gab es bereits 1974. Bis zum Jahr 1999 ereigneten sich über 90 derartige Taten. 74 Fälle trugen sich in den USA zu sowie 6 in Kanada und in Deutschland.
Zunächst wurden School-Shootings als spezifische Problematik der USA betrachtet, da in diesem extrem wettbewerbsorientierten Land individuelle Leistungsschwächen und mangelnde Durchsetzungsfähigkeit schnell zum Verlust von Anerkennung führen.
Noch gravierender wirken sich hier schulischer Gruppenzwang und Ausgrenzung aus, was dazu führt, dass ein Jugendlicher sich an seinen Mitschülern und der erfahrenen Ungerechtigkeit rächt.
Die öffentlich propagierte Waffenkultur, die den Erwerb und Besitz als Alltagsphänomen zulässt, scheint Schulamokläufe in den USA ebenfalls zu begünstigen.
Doch auch in Deutschland stellen School-Shootings eine große Gefahr dar. Hier sind es jedoch eher Konflikte mit Lehrkräften und Leistungsdruck, welche einen Schüler zum Amokläufer werden lassen.
Die meisten Taten von Schulamoks sind Ergebnis tage-, wochen- oder monatelanger Planung. Auch die Opfer sind in der Regel bewusst vorherbestimmt. Teilweise existieren sogenannte Todeslisten, auf denen die Amokläufer die Namen derjenigen notierten, die sie töten wollten.
Was unterscheidet Schul- von anderen Amoktaten?
Bei School-Shootings handelt es sich in der Regel um akribisch geplante Taten, die üblicherweise von diversen Warnsignalen begleitet werden.
Die Täter zeichnen sich durch Labilität und einen geringen Selbstwert sowie durch Größenfantasien aus. Selbstmord und Tod werden auch im Vorfeld häufig thematisiert.
Insbesondere mittlere und höhere Bildungsschichten sind durch den Aufstiegsdruck und das Risiko eines Versagens gefährdet. Schnell geschieht es dann bei Misserfolgen, dass Gefilde des Strafrechts betreten werden, um seinem Frust Ausdruck zu verleihen.
Übersicht über tragische Amokläufe der Vergangenheit
Im Folgenden sollen einige Amokläufe skizziert werden, die weltweit für Fassungslosigkeit und Entsetzen gesorgt haben. Die Liste ist bei weitem nicht abschließend, sondern dient eher dazu, einen kleinen Einblick in die Historie der Amokläufe zu erhalten.
- Juni 1913
Der erste Amoklauf an einer Schule in Deutschland trug sich am 20. Juni 1913 in Bremen zu. Allerdings war es hier nicht ein Schüler, sondern der 30-jährige Oberschullehrer Heinz Jacob Ernst Friedrich Schmidt, der mit 1000 Schuss in die katholische Sankt-Marien-Mädchenschule eindrang. Er tötete fünf Mädchen und verletzte 18 Kinder sowie 5 Erwachsene.
- Mai 1927
Auch bei dem Schulmassaker am 18. Mai 1927 in Bath (Michigan) war es ein Erwachsener, der 45 Menschen das Leben nahm und 58 Personen schwer verletzte. Der 55-jährige Andrew Koehoe ließ aufgrund finanzieller Probleme mehrere Bomben in der Schule explodieren und brachte sich auch selbst mit einer Autobombe vor dem Gelände um.
- Januar 1979
Am 29. Januar 1979, einem Montag, schoss Brenda Ann Spencer, ein 16 Jahre altes Mädchen, in San Diego (Kalifornien) aus dem Fenster ihres Elternhauses wahllos auf Passanten. Zwei Erwachsenen starben im Kugelhagel und neun Menschen trugen Verletzungen davon. Spencer erklärte die Tat damit, dass sie Montage nicht möge.
- April 2002
Am 26. April 2002 beging der 19-jährige Robert Steinhäuser am Erfurter Gutenberg-Gymnasium den folgenschwersten Schulamoklauf in der Geschichte Deutschlands. 16 Menschen wurden von ihm getötet, bis er sich schließlich selbst umbrachte. Ursache war vermutlich ein Schulverweis aufgrund einer Urkundenfälschung des Schülers.
- November 2006
Der 18 Jahre alte Sebastian B. tötete am 20. November 2006 an der Geschwister-Scholl-Realschule in Emsdetten mit Schusswaffen und diversen Bomben fünf Personen. 32 Menschen wurden verletzt. Der Täter litt jahrelang unter dem Mobbing seiner Mitschüler, sodass er hassbedingt eine extreme Gewaltbereitschaft enwickelte.
- Juli 2011
Am 22. Juli 2011 verübte der 32-jährige christliche Fundamentalist Anders Behring Breivik zwei Anschläge in Norwegen. Zum einen zündete er eine selbstgebaute Autobombe in Oslo, um Regierungsangestellte zu verletzen. Zum anderen griff er Jugendliche eines Feriencamps auf der Insel Utøya an.
Insgesamt verloren 77 Menschen ihr Leben, die meisten Opfer waren Kinder. Als die Polizei nach über einer Stunde die Insel erreichte, ließ sich Breivik bereitwillig festnehmen. Er erklärte seine Tat als politisch-ideologischen Rettungsakt.
- Juli 2016
Der 18 Jahre alte David S. überfiel am 22. Juli 2016 das Olympia-Einkaufszentrum in München. Dabei brachte er neun menschen tödliche Schussverletzungen bei und verletzte vier weitere Passanten. Der Schüler verehrte den norwegischen Amokläufer Breivik, sodass es sich hier um eine Nachahmungstat gehandelt haben könnte.
Eine tickende Zeitbombe: Was geht in einem Amokläufer vor?
Genau dieses verletzliche und verletzte Innere ist prägend für die meisten Amokläufer, ebenso wie eine Altersstruktur, die vor allem mittlere aber zunehmend auch immer jüngere Generationen beinhaltet, wenngleich keine Altersgruppen gänzlich auszuschließen sind.
In den meisten Fällen handelt es sich um ledige oder geschiedene Männer oder um männliche Jugendliche. Entgegen vieler anders lautender Mutmaßungen handelt es sich hierbei oftmals um Personen, die zunächst eine berufliche Qualifikation erworben haben und auch bis zu einem gewissen Punkt gesellschaftlich integriert sind.
Für das Umfeld ist in vielen Fällen nicht ersichtlich, was sich in den Gedanken des Amokläufers abspielt, bis es dann schließlich zum Durchbruch der Gewalt kommt.
Insbesondere psychosoziale Einwirkungen, wie Benachteiligungen, Demütigungen oder Beleidigungen, können eine innere Aggressivität ausbilden.
Auch seelische Erkrankungen können einen Amoklauf begünstigen, sodass Rauschgiftsüchtige, unter Psychosen oder Persönlichkeitsstörungen Leidende besonders gefährdet sind.
Damit in Zusammenhang stehen oftmals gewisse charakterliche Züge, die als Risikofaktor gelten können:
- schlecht ausgeprägte mentale und emotionale Fähigkeiten
- Tendenz der Isolation bzw. sozialen Entkoppelung
- wahnhafte Wahrnehmungsstörungen, sodass harmlose Ereignisse als feindselig empfunden werden
- Gefühle der Hilflosigkeit
- schnelles Empfinden eines Prestige-Verlusts bei Misserfolgserlebnissen
Eine weitere Krankheit, die sich bei Amokläufern findet, ist Narzissmus. Hierbei entwickeln die Personen ein übersteigertes Selbstwertgefühl und neigen zu einer Selbstverherrlichung, deren Bestätigung sie in der Umwelt zumeist nicht finden.
Verschiedene Profile von Amokläufern
Grundsätzlich lassen sich für Amokläufer nur schwerlich feste Schemata oder Stereotype entwerfen. Es ist stets ein individuelles Zusammenspiel von sozialen, psychischen oder auch organischen Faktoren ausschlaggebend, um einen Menschen zu einem Amoklauf zu bewegen.
Dennoch lassen sich gewisse Gruppierungen voneinander abgrenzen, die große Schnittmengen bei bestimmten Verhaltensweisen aufweisen.
Zunächst sind diejenigen Amokläufer, deren Tat in einem Suizid gipfelt, von dem Personenkreis zu unterscheiden, der keinen Selbstmord beabsichtigt.
Suizidale Amokläufer
Innerhalb dieser Kategorie lassen sich zwei Untergruppen feststellen:
Zum einen gibt es die unauffälligen Täter, deren Aggression sich auf Familienmitglieder beschränkt. Solche Amokläufer legen zumeist eine hohe Treffsicherheit an den Tag und bevorzugen Schusswaffen.
Zum anderen zählt hierzu der ledige, kontaktscheue, sexuell abstinente oder perverse Typus. Oftmals handelt es sich um Waffennarren, die vornehmlich fremde Menschen attackieren oder vorab nahe Angehörige angriffen.
Amokläufer ohne Selbstmordabsicht
Amokläufer, die am Ende nicht sich selbst richten, verursachen meist heftige Sachschäden durch den Einsatz außergewöhnlicher Waffen.
Auch wenn es zu wenigen Todesopfern kommt, ist die Gefährdung unschuldiger Menschen auch hier groß und nur durch polizeiliche Schutzmaßnahmen einzudämmen.
Derartige Amokläufer leiden nicht selten unter Verfolgungswahn, anderen psychischen Erkrankungen oder stehen unter Drogen.
Präventionsstrategien: Warnsignale richtig lesen
Da die meisten Amokläufe Ergebnis zeitaufwändiger Planungsphasen sind, lassen sich vor der Tat selbst Hinweise finden, die es ermöglichen, einen Amok frühzeitig zu erkennen und zu verhindern.
Derartige Leaks sind unter anderem:
- Andeutungen
- Drohungen
- Zeichnungen und Pläne
- Hasskommentare im Internet
Die soziale Umwelt weiß häufig nicht, wie sie mit den bedrohlichen Verhaltensweisen des zukünftigen Amokläufers umzugehen hat und reagiert daher nicht selten zu spät oder auch gar nicht.
Amokläufer weisen im Nachhinein üblicherweise eine lineare Entwicklung auf. Kommunikative Missverständnisse erzeugen Angst, welche wiederum durch Aggression verarbeitet wird.
Isolation und zerstörerische Gedankengänge verstärken sich ab einem gewissen Punkt immer weiter. Dies kann darin enden, dass der Amokläufer einen erweiterten Suizid anstrebt, in dem er eine möglichst hohe Opferanzahl mit sich reißen möchte.
Risiko-Marker für einen Amoklauf
Folgender Fragenkatalog kann helfen, einen Amokläufer in einem frühen Stadium zu identifizieren und ihm aus seiner Gewaltspirale heraus zu helfen.
- Weist die Person narzisstische Züge auf und fühlt sich schnell gekränkt?
- Ist die Frusttoleranz extrem niedrig, sodass es zu aggressiven Überreaktionen kommt?
- Sind plötzliche Verhaltensänderungen feststellbar?
- Zeichnet sich der Medienkonsum durch außergewöhnlich gewaltverherrlichende Inhalte aus?
- Propagiert oder toleriert das nähere Umfeld aggressive Verhaltensweisen?
- Zeigt der Betroffene einen Mangel an Nähe und Vertrautheit zu anderen Menschen?
- Ist eine Affinität zu Waffen vorhanden?
- Sind Depressionen oder suizidale Gedanken erkennbar?
- Leidet die Person unter Ausgrenzung oder Demütigung durch andere?
Frühwarnsystem für Schulen
Da sie oftmals Zielpunkt für Amokläufe ist, kann ein Amokalarm in einer Schule sinnvoll sein, um schnell und effizient auf Gefahrensituationen zu reagieren. Dies kann beispielsweise in Form eines bestimmten Klingeltons oder auch mittels einer codierten Durchsage erfolgen.
Das Institut für Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt hat außerdem ein computerbasiertes Frühwarnsystem entworfen: das sogenannte „Dynamische Risiko-Analyse-System“ (kurz: DyRiAS).
Dieses kommt seit 2009 in Deutschland, Österreich und der Schweiz insbesondere dann zum Einsatz, wenn festgestellt werden soll, ob eine Amokdrohung an einer Schule ernstzunehmen ist.
Bei ersten Warnsignalen, wie dem Besitz von Waffen, Lebenskrisen (beispielsweise Streitigkeit um das Sorgerecht bei der Scheidung der Eltern) oder Suizidabsichten, werden anhand von spezifischen Fragen Informationen gesammelt und mit stattgefundenen Amokläufen abgeglichen.
Das Programm kann dann die Risikofaktoren einschätzen und so eine schnelle Analyse der Situation erstellen.