Altersfeststellung bei Flüchtlingen: So funktioniert sie

Wie können Behörden ohne Ausweisdokumente bestimmen, ob es sich um minderjährige Flüchtlinge handelt? Die Altersfeststellung ist gemäß § 42f des SGB VIII anhand verschiedener Methoden möglich.
Wie können Behörden ohne Ausweisdokumente bestimmen, ob es sich um minderjährige Flüchtlinge handelt? Die Altersfeststellung ist gemäß § 42f des SGB VIII anhand verschiedener Methoden möglich.

FAQ: Altersfeststellung

Gibt es einen Test, um das Alter einer Person festzustellen?

Ja und nein. Es gibt einige Methoden, um im Rahmen einer Altersfeststellung das biologische Alter einer Person zu bestimmen. Diese unterliegen allerdings noch Ungenauigkeiten (bspw. eine Differenz von plus/minus zwei Jahren) und ermöglichen es momentan noch nicht, hundertprozentig konkrete Aussagen zu treffen. Trotzdem finden solche Maßnahmen besonders zur Alterseinschätzung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF) bereits seit 2015 Gebrauch in Deutschland, um bei fehlenden Ausweisdokumenten Abhilfe zu schaffen.

Was gehört zu einem sogenannten Altersfeststellungsverfahren?

Das „behördliche Verfahren zur Altersfeststellung“ – auch Altersfeststellungsverfahren genannt – sieht gemäß § 42f des achten Sozialgesetzbuchs (SGB VIII) eine Reihe an Maßnahmen vor, die das Jugendamt zur Bestimmung des Alters eines Flüchtlings einsetzen kann. Neben der in Abs. 1 aufgeführten Einsicht von identitätsklärenden Dokumenten (Personalausweis, Reisepass, Geburtsurkunde etc.) und einer Inaugenscheinnahme, ermöglicht Abs. 2 z. B. auch die Anordnung einer medizinischen Untersuchung. Im Anschluss an eine Altersfeststellung erfolgt dann die Festlegung eines fiktiven Geburtsdatums, wenn kein offizielles vorhanden ist (in der Regel das spätmöglichste Datum innerhalb des bekannten Geburtsjahres). Eine ausführlichere Erklärung der einzelnen Verfahrenskomponenten finden Sie in diesem Abschnitt.

Wie wird das Alter medizinisch festgestellt?

Um jemandes Alter ärztlich bestimmen zu lassen, hat das Jugendamt mehrere Möglichkeiten. Sofern eine ausführliche Aufklärung über die Umstände und möglichen Risiken der medizinischen Altersfeststellung stattfand, kann es bspw. eine Röntgenuntersuchung der Handwurzelknochen oder eine Vermessung der Gebissstruktur anordnen. Welche medizinischen Maßnahmen grundsätzlich zulässig sind und wie diese genau ablaufen, erfahren Sie hier.

Altersfeststellung beim Asylverfahren: Welche Komponenten zählen dazu?

Bestandteil einer Altersfeststellung für Flüchtlinge ist bspw. eine Inaugenscheinnahme durch qualifiziertes pädagogisches Fachpersonal.
Bestandteil einer Altersfeststellung für Flüchtlinge ist bspw. eine Inaugenscheinnahme durch qualifiziertes pädagogisches Fachpersonal.

Wenn unbegleitete Flüchtlingskinder in Deutschland ein Asylverfahren beantragen wollen, lässt sich zumeist nicht sofort klären, wie alt sie sind. Da ihr Alter aber eine zentrale Rolle dafür spielt, ob bspw. eine Inobhutnahme durch das Jugendamt erforderlich ist oder nicht, räumt das deutsche Sozialrecht die Möglichkeit der Altersfeststellung gemäß § 42f des SGB VIII ein. Diese soll sicherstellen, dass minderjährige Flüchtlinge den notwendigen Schutz und die entsprechenden Unterstützungsmaßnahmen erhalten, die ihnen zustehen.

Zu den dafür zulässigen Verfahrenskomponenten zählen folgende:

  1. Eine Ersteinschätzung über die Selbstauskunft des Flüchtlings und die Kontrolle von seinen mitgeführten Identitätsdokumenten (sofern vorhanden): Diese Phase beinhaltet das erste Gespräch mit dem Flüchtling, bei dem persönliche Daten und Dokumente wie der Reisepass oder die Geburtsurkunde auf ihre Echtheit überprüft werden.
  2. Die qualifizierte Inaugenscheinnahme des Flüchtlings durch zwei Pädagogen (mitunter im Beisein von Dolmetschern und psychologischen Fachkräften): In diesem Schritt finden erneut Gespräche statt, in denen die äußere Erscheinung und das Verhalten des Flüchtlings im Mittelpunkt der Untersuchung stehen. Eine sozialpädagogische Alterseinschätzung soll hier primär über den Entwicklungsstand desjenigen erfolgen (bspw. mit Fragen, die biografische Daten, den Bildungsweg, familiäre Beziehungen oder die Flucht nach Deutschland thematisieren). Die Pädagogen entscheiden allerdings lediglich über Minder- bzw. Volljährigkeit und nicht über ein konkretes Alter.
  3. Eine ärztliche Untersuchung durch medizinisches Fachpersonal: Erhält der Flüchtling eine Aufklärung und stimmt den jeweiligen Maßnahmen zu, sind auch medizinische Überprüfungen erlaubt (sofern die vorigen Schritte kein aussagekräftiges Ergebnis liefern konnten). 

Wichtig: Flüchtlinge, die ohne Papiere ankommen oder deren Altersangaben Zweifel aufwerfen, müssen sich in jedem Fall einer gründlicheren Überprüfung unterziehen. Die zuständigen Behörden dürfen die Selbstauskunft von Flüchtlingen im Rahmen der Altersfeststellung aber nur in begründeten Ausnahmefällen anzweifeln (bspw. wenn es sich um offensichtlich widersprüchliche Aussagen handelt bzw. die Identitätsdokumente nicht von offiziellen Quellen stammen oder lediglich Schätzwerte der Behörden und Datenbanken wie EURODAC enthalten).

Wie funktioniert eine medizinische Altersfeststellung für Flüchtlinge?

Wird eine Altersfeststellung auf medizinischen Weg angeordnet, sind Röntgenuntersuchungen die gängigste Methode.
Wird eine Altersfeststellung auf medizinischen Weg angeordnet, sind Röntgenuntersuchungen die gängigste Methode.

Sind sowohl die Ersteinschätzung als auch die Inaugenscheinnahme eines scheinbar minderjährigen Flüchtlings erfolglos geblieben, veranlasst das Jugendamt in der Regel medizinische Maßnahmen zur Altersfeststellung.

Teil eines solchen Verfahrens können unter anderem die folgenden Untersuchungen sein:

  • Röntgenaufnahmen der Handwurzelknochen: Diese Methode basiert auf der Annahme, dass sich die Knochenstruktur mit dem Alter verändert (d. h. bestimmte Knochen bei Kindern noch verknorpelt vorliegen und sich im Laufe der Jahre erst richtig herausbilden). Da es sich bei standardisierten Tabellen zur Überprüfung des Handskeletts aber um statistische Mittelwerte handelt, lässt sich das Alter nicht genau abschätzen (plus/minus zwei Jahre). Grund dafür ist, dass die Entwicklungsgeschwindigkeit bei jedem anders schnell verläuft und z.B. durch Krankheiten maßgeblich beeinträchtigt sein kann.
  • Computertomographische Untersuchung der Schlüsselbeinknochen: Auch hier zählt der Verknöcherungsgrad, der anhand von Röntgenbildern bestimmt wird. Ähnlich wie bei den Handwurzelknochen lassen sich allerdings nur Annäherungswerte und kein genaues Alter bestimmen. Es sei denn, die Knochen sind so weit entwickelt, dass sich eine Volljährigkeit unter keinen Umständen ausschließen lässt.
  • Vermessung des Gebisses: Bei einer Altersfeststellung können Zähne ebenfalls aufschlussreiche Ergebnisse liefern. Mediziner führen dabei eine sogenannte Zahnzementanalyse durch (d. h. sie untersuchen die Zementbanden, die jedes Jahr eine neue Schicht an den Zahnwurzeln bilden). Obwohl dies die genaueste Methode ist, um das Alter zu bestimmen, steht sie noch in der Kritik. Das ist der Fall, weil sie derzeit nicht durchführbar ist, ohne einen Zahn komplett zu ziehen.

Wichtig: In Zukunft könnte auch eine Gehirnuntersuchung eine möglichst exakte medizinische Altersfeststellung ermöglichen. Wissenschaftler erforschen momentan anhand von Gehirnaufnahmen, wann Gehirne wie weit entwickelt sind und trainieren Algorithmen anhand dieser Datensätze. Bis neue Methoden bewilligt und anwendbar sind, gilt allerdings grundsätzlich: Wenn nach jeglichen Untersuchungen trotzdem Zweifel bestehen bleiben, sollten jugendliche Flüchtlinge tendenziell eher für minderjährig befunden als zu alt eingeschätzt werden. So hat deren Schutzbedürftigkeit in jedem Fall Priorität.

Quellen und weiterführende Links

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Über den Autor

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Arnhold H.

Arnhold hat Abschlüsse in Musik- und Medienwissenschaften von der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2024 verstärkt er das Team von anwalt.org. Dabei liegen seine Schwerpunkte mitunter im Verkehrsrecht sowie diversen, kleineren Rechtsthemen.

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